Themenzirkel „Verwaltung als absichtsvoller Akteur“

von Nicole Lünow

Mit reger Beteiligung von Vertreter:innen der Mittelstädte Coburg, Deggendorf, Fellbach, Horb am Neckar, Rees, Rotenburg/Wümme und Voerde/Niederrhein fand Mitte Juni 2023 ein weiterer Themenzirkel unseres Graduiertenkollegs statt. Unter dem Titel „Verwaltung als absichtsvoller Akteur“ stellten Lea Fischer, Florian Markscheffel und Tomás Vellani erste Ergebnisse aus ihren Dissertationsprojekten vor. Thesen aus diesen Ergebnissen bildeten die Diskussionsgrundlage für einen interessanten Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit den Vertreter:innen der Mittelstädte.

Florian Markscheffel forscht zu möglichen Hindernissen und Potentialen für Change-Prozesse in Mittelstädten. In seiner Fallstadt hat er dabei eine „Verwaltungskultur“ als Hemmnis identifiziert, die sich vor allem durch Bürokratie, regelgebundenes Handeln und Hierarchien auszeichnet. Die anwesenden Vertreter:innen der Mittelstädte bestätigten, dass Change-Prozesse auch innerhalb ihrer Verwaltungen von Mitarbeitenden oft gemischt aufgenommen werden. Aus ihrer Sicht sind mögliche Faktoren, die die Haltung der Mitarbeitenden gegenüber solchen Prozessen erklären, der berufliche Werdegang (Quereinsteiger:innen vs. Verwaltungsfachangestellte) als auch die für eine Abteilung spezifische Arbeitsweise (Querschnittsabteilungen vs. Linienabteilungen). In manchen Verwaltungen scheint es zudem einen Unterschied zwischen den Generationen zu geben, in anderen gibt es hingegen in allen Altersschichten Bremser:innen sowie Vorantreiber:innen. Die Teilnehmenden waren sich aber einig, dass solche hausinternen Differenzen nicht ignoriert werden sollten, sondern es wichtig ist, alle Mitarbeitenden bei einem Change-Prozess mitzunehmen, um mit gebündelter Kraft Dinge zu verändern. Außerdem wurde auch in der Verwaltung die Erfahrung gemacht, dass diverse Teams besser arbeiten.

 

Eine weitere Herausforderung, vor der Mittelstädte stehen, ist die Digitalisierung ihrer Verwaltung. Tomás Vellani hat den Stand der Digitalisierung von Verwaltungen kleiner Mittelstädte untersucht und festgestellt, dass die Kombination einer Reihe von Faktoren die Institutionalisierung der Digitalisierungspolitik fördert. Wie zwei Drittel der kleinen Mittelstädte in Deutschland berichteten auch viele der anwesenden Vertreter:innen, dass es in ihren Verwaltungen keinen eigenen Bereich für Digitalisierung gibt. Stattdessen werden die vielfältigen Aufgaben von Homeoffice über E-Governance bis Smart City je nach Kommune entweder von der hauseigenen EDV-Abteilung übernommen, von einzelnen Mitarbeiter:innen oder den jeweiligen Fachabteilungen, die von der EDV unterstützt werden. Vor allem die Kommunikation zwischen Fach- und EDV-Abteilung gestaltet sich dabei in einigen Städten als konfliktreich. Ein:e Vertreter:in berichtete aber auch, dass das spezifische Wissen der Fachabteilung bei der Umsetzung der Digitalisierung in seiner/ihrer Verwaltung als sehr wertvoll erachtet wird. Generell schreitet die Digitalisierung in den Verwaltungen jedoch eher mit kleinen Schritten voran – vor allem wenn nur einzelne Mitarbeiter:innen verantwortlich sind. Um die vielen, sehr vielfältigen Anforderungen, die mit dem Thema Digitalisierung verbunden sind, besser erfüllen zu können, wünschen sich die Vertreter:innen der Mittelstädte deshalb mehr Ressourcen.

 

Im Bereich der Bürger:innenbeteiligung in der Stadtplanung forscht Lea Fischer zu den Bildern, die sich die planende Verwaltung von Bürger:innen macht. Die These, die sie aus ihren Ergebnissen zur Diskussion gestellt hat, ist, dass die planende Verwaltung und die aktive Zivilgesellschaft anderen Handlungslogiken folgen und sich dadurch zwischen ihnen eine Sprachlosigkeit einstellen kann. Leas Ergebnisse haben die Erfahrungen der Vertreter:innen der Mittelstädte widergespiegelt: Sie berichteten, dass negative Erfahrungen mit Bürger:innenbeteiligung zu Partizipationsfrust auf allen Seiten führen können. Aus ihrer Sicht nehmen teilweise die gleichen Akteur:innen an Beteiligungsveranstaltungen teil, deren Meinung dann im Vergleich zur Gruppe der nicht-beteiligten Bürger:innen zu viel Gewicht bekommt. Die anwesenden Verwaltungsmitarbeiter:innen beschreiben, dass sie immer wieder versuchen, die „stille Gruppe“ zu erreichen, sie dabei aber nur vereinzelt Erfolg haben. Hintergrund dieses Versuchs ist der Wunsch der Verwaltungsmitarbeiter:innen, gute und repräsentative Beteiligungsformate zu gestalten. Ein:e Vertreter:in betonte, dass seine/ihre Verwaltung immer eine offene Tür für Bürger:innen habe und die Ansprache unermüdlich weiter versucht wird.

 

Der Themenzirkel hat gezeigt, dass Florian, Tomás und Leas Forschungen die Herausforderungen, vor denen Mittelstädte stehen, sehr gut einfangen. Change-Prozesse, Digitalisierung, Bürger:innenbeteiligung – die Verwaltung „als absichtsvoller Akteur“ sieht sich bei diesen großen Aufgaben mit einigen Herausforderungen konfrontiert. Trotz großer thematischer Vielfalt der Präsentationen, gab es in allen drei Diskussionsrunden ein wiederkehrendes Hemmnis: Die Ressourcenknappheit, sowohl personell/zeitlich als auch finanziell. Außerdem wurde sowohl für Change-Prozesse als auch für Bürger:innenbeteiligung die Kommunalpolitik als wichtige Akteursgruppe identifiziert, sodass für die Verwaltungsmitarbeitenden eine komplexe Gemengelage aus Akteur:innen und ihren Interessen zu koordinieren ist.

 

An dieser Stelle möchten wir allen Vertreter:innen der Mittelstädte sowie Marie Graef und Christopher Neuwirth vom Graduiertenkolleg nochmals für ihre Teilnahme und Beiträge danken! Wir freuen uns auf weitere spannende Diskussionen auf der 3. Mittelstadtkonferenz unseres Graduiertenkollegs in Aachen!